"Heini" und seine Brüder
Katrin Himmler, Großnichte des SS-Führers, gräbt in der Familiengeschichte
23. Oktober 2005 BERLIN. Über den Reichsführer SS wußte Katrin Himmler schon früh Bescheid. Den größten Massenmörder aller Zeiten nennt sie ihren Großonkel Heinrich auch heute noch. Doch "Heini", wie der zweite von drei Söhnen eines Gymnasiallehrers in seiner Familie stets hieß, "Heini" lernte sie erst spät kennen. Denn Heinrich Himmler war auch im Elternhaus seiner Großnichte eine Unperson. Seine Brüder, Gebhard und Ernst, Katrin Himmlers Großvater, galten in der Familie als unpolitische Technokraten und Ingenieure, die mit dem Nationalsozialismus wenig zu tun hatten. Heinrich hingegen war der Aussätzige, der sich, unverständlich für alle anderen, zum Monster entwickelt hatte.
Doch kommt ein Monster aus einer ganz normalen Familie? "Inzwischen weiß ich, das sind so verdammt normale Menschen, und das ist das Erschreckende daran", sagt Katrin Himmler. In ihrem Buch "Die Brüder Himmler" beschreibt sie, wie auch Gebhard und Ernst schon früh begeisterte Anhänger des Nationalsozialismus waren, wie die Familie vom Aufstieg Heinrichs profitierte, wie breit die ideologische Übereinstimmung der Brüder war, die nach der familiären Überlieferung angeblich so verschieden waren.
Der Weg zu diesem Buch war lang und leidvoll. Katrin Himmlers Eltern, überzeugte Achtundsechziger, "bombardierten" ihre beiden Töchter schon früh mit aufklärerischer Literatur über das nationalsozialistische Regime. Doch darüber geredet wurde nicht viel. Zurechtkommen mußten die Töchter selbst damit. Sie taten es auf ganz unterschiedliche Weise. Als sie mit elf Jahren die Fernsehserie "Holocaust" sah, hatte Katrin Himmler nächtelang Albträume. "Mir ging es richtig dreckig", sagt sie. Ihre ein Jahr jüngere Schwester konnte das Thema wegschieben. Sie kann es bis heute. "Es ist oft so, daß einer aus der Familie das stellvertretend für die anderen aufarbeitet und dabei auch immer allein ist", sagt Katrin Himmler.
In Kreisbewegungen hat die 42 Jahre alte Politologin sich ihrer Familiengeschichte über Jahre genähert. Erst beschäftigte sie sich mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus, dann mit den Opfern, schließlich mit den Täterinnen. "Irgendwann war ich mutig genug, zu Veranstaltungen mit jüdischen Zeitzeugen zu gehen und sogar meinen Namen zu nennen", berichtet sie. Vor einigen Jahren begann sie ein Forschungsprojekt über die Nachkommen der Täter in der zweiten und dritten Generation, "aber immer schön im Abstand zur eigenen Familie". Als sie an der Universität ein Seminar zu den Enkeln der Täter vorbereitete, wurde ihr klar, "daß ich endlich an meine eigene Familie ran muß".
Der Vater unterstützte sie zunächst, begann von früher zu erzählen. Doch sein Eifer erlahmte, als er merkte, wie wenig das Bild seines Vaters Ernst, das Katrin Himmler aus den Archiven hervorholte, den liebgewordenen Vorstellungen vom unpolitischen Ingenieur in der Reichsrundfunkgesellschaft entsprach. Auch eine Tochter von Gebhard, dem anderen Bruder Heinrich Himmlers, wollte nichts mehr sagen, als ihr bewußt wurde, wie tief dessen Großnichte in der Familiengeschichte zu graben begann. "Es tut mir leid, daß ich das Bild meiner Verwandten von ihren Vätern demontieren muß", sagt Katrin Himmler. Daß ihre Verwandten abblockten, kann sie verstehen. "Die Generation vor mir hat es viel schwieriger. Sie wissen rational sehr wohl, was damals passiert ist. Aber emotional können sie es nicht aushalten. Für Kinder ist das kaum zu schaffen."
Auch für die Großnichte mußte viel zusammenkommen, daß sie sich der Geschichte der Familie öffnete. Sie traf einen Israeli wieder, den sie von früher kannte. "Dani", wie Katrin Himmler ihn in ihrem Buch nennt, wurde ihr Freund und Ehemann. Sein Vater hatte als Junge im besetzten Warschau mit "arischen" Papieren überlebt. Daß sie unbewußt einen jüdischen Mann suchte, bestreitet sie entschieden. "Wir waren gar so naiv zu glauben, unsere Geschichten würden in unserer Beziehung gar keine Rolle spielen", sagt sie. Doch stundenlang diskutierten sie dann darüber. "Dani" hatte in seiner Kindheit begeistert Modelle von deutschen Bombern wie Stuka und Messerschmitt 109 gebaut und mit Hakenkreuzen geschmückt. Katrin Himmler interessierte sich für die Geschichte der Opfer. "Beide hatten wir uns den jeweils leichteren Weg gewählt, mit der drückenden Last unserer Familiengeschichten fertig zu werden, indem wir uns der Geschichte der anderen zuwandten, uns von ihnen gleichsam eine neue Identität borgten", schreibt sie in ihrem Buch.
Irgendwann fuhr sie mit ziemlichen Bauchschmerzen mit zu den Verwandten ihres Mannes nach Israel. "Mein Nachname spielte keine Rolle, da mich alle beim Vornamen nannten", erzählt sie. Aber einige Verwandte hätten ihn nie erfahren. "Die Familie meines Mannes hat mich da geschützt." Katrin Himmlers Eltern und Schwiegereltern verstanden sich gut, besuchten sich, doch über die Vergangenheit sprach man nicht. Bei einem Deutschland-Besuch wollte die Schwiegermutter dann die Kiste mit den alten Familienfotos sehen. Als sie das Bild des Reichsführers SS in voller Uniform entdeckte, legte sie es zur Seite. "Sie hat das gleiche getan, was meine Eltern gemacht hatten: Wir sollten eine normale Familie sein, deshalb wurde Heinrich aussortiert."
Ihren Namen zu ändern, daran hat Katrin Himmler nur als Kind gedacht. Den jüdischen Namen ihres Mannes anzunehmen kam für sie später nicht in Frage. Der Name sei Teil ihrer Identität, sagt sie heute. "Die Außenwelt hat auch kein Problem mit meinem Namen, aber ich habe Probleme, damit zu leben", gibt sie dennoch zu. Dem gemeinsamen Sohn habe sie den Namen Himmler "erspart". Der Junge geht in die erste Klasse. Ihm über seine Familie, deren Schuld und Verantwortung mehr zu erzählen, als die eigenen Eltern es taten, war für Katrin Himmler Ansporn zu ihrem Buch. "Noch immer fürchte ich mich vor dem Augenblick, wenn er erfahren wird, daß die eine Seite seiner Familie bemüht war, die andere Seite seiner Familie auszurotten", schreibt sie am Ende des Buches. "Das möchte ich gerne so weit wie möglich rausschieben", sagt sie.
Als sie anfing, an ihrer deutschen Familiengeschichte zu arbeiten, hatte Katrin Himmler die Hoffnung, etwas von der Last, die sie mit sich herumträgt, werde am Ende von ihr abfallen. Doch das ist nicht geschehen. "Es ist nur viel konkreter geworden, läßt sich weniger wegschieben." Daß sie das Buch schreiben mußte, ist für sie ebenso klar. Gerade hat sie die Aussage von Gebhard Himmler, dem älteren Bruder Heinrichs, vor dem Nürnberger Tribunal entdeckt. Der bescheinigte dem Reichsführer SS "tiefe Herzensgüte", beschrieb ihn als Mann der "aufrecht, schlicht und sauber seinen Weg ging". Und: "Rein persönlich würde ich niemals meinen Bruder als den Schuldigen an jenen Dingen erblicken können", sagte er vor dem Tribunal. "Es wurde mir ganz schlecht, als ich das gelesen habe", sagt Katrin Himmler.
Dem Aufsehen, das ihr Buch erzielen wird, will sich die Autorin nur dosiert stellen. Die Distanz, die sie im Buch mühevoll zu ihrer Familie entwickelt hat, läßt sich im Leben kaum erreichen. Sie brauche schon ein bißchen mehr Abstand, sagt Katrin Himmler. Und: "Irgendwann ist es schon sinnvoll, einen Abschluß zu finden."
Das Buch von Katrin Himmler "Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte" erscheint am 26. Oktober im S.Fischer Verlag in Frankfurt am Main.
Katrin Himmler ist sehr mutig! Manchmal ist es ziemlich schwierig das Schicksal zu ändern, man muss damit leben und möglicherweise es verbessern!
[ Last edited by Ampelmann on 2005-11-18 at 17:39 ]作者: Ampelmann 时间: 2005-11-20 22:46
Es gibt immer noch Leute wie die Tochter von Heinrich Himmler, die unbelehrbar sind. Die meisten Deutsche haben doch Konsequenzen aus der Geschichte gezogen und können mit dem Ende des Kalten Krieges wieder nach vorne blicken(zurück zu Zukunft)! Bei den Japanern ist der Fall nicht so!
[ Last edited by Ampelmann on 2005-11-20 at 22:50 ]