Eine Polit-Groteske ersten Ranges: Ausgerechnet im Heine-Jahr wird der gleichnamige Preis nicht verliehen. NRW-Landeschef Rüttgers stärkte heute dem Düsseldorfer Stadtrat den Rücken, der sich einmütig gegen die Ehrung Peter Handkes ausgesprochen hatte.
Berlin - Eine Premiere steht bevor: Es gilt mittlerweile als sicher, dass Peter Handke den Heinrich-Heine-Preis nicht bekommt. Er wird der erste Kandidat in der 34-jährigen Geschichte der Auszeichnung sein, der von den nordrhein-westfälischen Parteien nach massiver öffentlicher Kritik an der Jury-Entscheidung abgelehnt wurde. Eine besonders peinliche Note bekommt diese Entscheidung, weil sie ausgerechnet im Heinrich-Heine-Jahr zum Gedenken des 150. Todestages des Schriftstellers fallen wird.
Heute kritisierte nun auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Rüttgers (CDU) die geplante Preisvergabe an Handke. "Die Landesregierung ist der Meinung, dass für den Heine-Preis nicht preiswürdig ist, wer den Holocaust relativiert", sagte Rüttgers im Landtag und bezog sich damit auf die umstrittene Haltung Handkes zu den Völkerrechtsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Er unterstützte damit die Düsseldorfer Lokalpolitiker in ihrer Haltung. Es gehe nicht um das Werk Handkes als Poet und Literat, so Rüttgers, "es geht um sein Verhalten in politischer Hinsicht."
Der Ministerpräsident wies jede Verantwortung des Landes für die Entscheidung der Jury zurück. Er stellte sich damit vor seinen Kultur-Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, der an der Jury- Sitzung nicht teilgenommen hatte. Rüttgers warf den Kritikern der Landesregierung eine Verdrehung der Tatsachen vor. "Verantwortlich für die Entscheidung, Peter Handke den Heine-Preis zuzuerkennen, sind diejenigen, die dafür gestimmt haben, und nicht diejenigen, die nicht mitgestimmt haben", sagte er der dpa.
Dennoch will Oberbürgermeister Dirk Erwin (CDU) dem Stadtrat die Empfehlung der Jury zur Abstimmung vorlegen, sagte dessen Pressesprecher Kai Schumacher. Er sehe keinen Grund, die Vorgehensweise zu ändern.
Keinen Preis zu vergeben ist weniger peinlich
"Mit Blick auf die aktuelle Entwicklung wäre es aber klüger von der Stadtverwaltung, die Beschlussvorlage gar nicht erst einzubringen", meint hingegen Annette Steller, Fraktionsgeschäftsführerin der SPD in Düsseldorf. Ein solches Verhalten erwartet sie aber nicht. "Die Stadträte müssen sich also nun fragen, was peinlicher wäre: den Preis an Peter Handke zu vergeben oder ihn gar nicht zu verleihen." Den Schriftsteller nicht zu ehren sei eindeutig das kleinere Übel, meint die Sozialdemokratin. Ein schlechter Nachgeschmack bleibe aber doch. Die Entscheidung liege nun beim Oberbürgermeister.
Mit dieser Einstellung ist Frau Steller nicht allein. "Die beste Lösung ist jetzt, das Ergebnis der Abstimmung am 22. Juni abzuwarten und die Auszeichnung nicht zu vergeben", sagt Dirk Elbers, Fraktionsvorsitzender der CDU im Düsseldorfer Stadtrat. Eine Nachnominierung würde den falschen Eindruck erwecken, dass der jeweilige Kandidat nur zweite Wahl sei.
"Wir verleihen einen politischen Preis, keinen Literaturpreis", stellt die Geschäftsführerin der Düsseldorfer Grünenfraktion, Karin Trepke, fest. Und aus politischer Sicht sei es nicht zu verantworten, jemanden auszuzeichnen, der keine Distanz zu einem wegen Völkermordes angeklagten Politikers halte und überdies noch auf dessen Beerdigung spreche. "Unsere Position hat sich auch nach der schriftlichen Verteidigung von Herrn Handke nicht verändert", sagte Trepke SPIEGEL ONLINE.
Kritik an dieser Sichtweise hagelt es indes von allen Seiten: Während sich in den Feuilletonsreichlich Unmut über das Verhalten der Politiker breit macht, sagte Die Chefin des Suhrkamp Verlags, Ulla Unseld- Berkéwicz: "Eine politische Institution beugt sich dem Druck einer Kampagne, die Peter Handke diffamiert. Wenn es nicht zu einem öffentlichen Aufschrei führt, dass einer der größten Dichter derart geächtet wird, ist das ein Zeichen für den drohenden Bankrott unserer Kultur." Auch der deutsche PEN-Präsident Johano Strasser, obwohl gegen eine Preisvergabe an Handke, lehnte das Vorhaben des Stadtrats als politische Einmischung ab. Der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Schriftsteller, Imre Török, erklärte im Deutschlandradio: "So problematisch diese Entscheidung jetzt vor uns steht, sie ist gefallen, und ich würde sie jetzt nicht mehr rückgängig machen."
Rücktritt von Grosse-Brockhoff abgewiesen
Politische Unterstützung erfährt der Dichter lediglich in der Grünen-Fraktion des nordrhein-westfälischen Landtags Unterstützung: "Handkes Aussagen sind bizarr, und ich bin nicht seiner Meinung, aber der Stadtrat muss seine Streitbarkeit anerkennen", meint der kulturpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Oliver Keymis. Vielmehr sollte man den Schriftsteller auszeichnen und in der Laudatio auf die Kontroversen eingehen. Es stehe Handke zu, Ereignisse und Personen aus seiner Sicht zu behandeln, anders zu fragen. "Ich verteidige einfach den politischen Diskurs und die Freiheit des Andersdenkenden."
Nicht nur der Kandidat selbst, sondern vor allem auch das Verhalten des Jury-Mitglieds Grosse-Brockhoff hat in Düsseldorf harsche Kritik ausgelöst. Der CDU-Mann war zur Abstimmung über die Empfehlung nicht erschienen. Seine zwei Stimmen gingen verloren, die Zweidrittelmehrheit in der Jury für Handke kam nur knapp zustande.
Um das Motiv seines Fehlens zu klären, fand heute im Landtag eine Fragestunde statt. Im Vorhinein war bekannt geworden, dass Grosse-Brockhoff wegen persönlicher Streitigkeiten zwischen der Landesregierung und der Stadt Düsseldorf der Sitzung ferngeblieben war. In der "Rheinischen Post" forderte daher die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Sylvia Löhrmann, Ministerpräsident Rüttgers auf, den Kulturstaatsekretär und Chef der Staatskanzlei zu entlassen. Ministerpräsident Rüttgers wies die Forderung jedoch zurück.