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Zehn Fragen zu Chinas Zukunft
Die EU sieht das Riesenreich als „strategischen Partner" - für die USA ist es ein ökonomischer und militärischer Rivale. Wem die Zukunft Recht gibt, kann heute niemand sagen. WELT ONLINE nennt Risiken und Potentiale.
Jedes Frühjahr, wenn in Peking das größte Parlament der Welt zusammenkommt, verkündet China die Erhöhung seines Verteidigungshaushaltes. Der gesamte Haushalt und wichtige Weichestellungen für die Zukunft stehen auf dem Programm.
Wenn von Montag an bis zum 16. März 2937 Abgeordnete zusammenkommen, stehen neben der Abstimmung über den Haushalt auch zwei neue Gesetze im Mittelpunkt: Die Absicherung von Privateigentum und eine reformierte Unternehmensbesteuerung sollen China einen weiteren Schritt in Richtung Marktwirtschaft bringen.
1. Wird Chinas Aufstieg zum Krieg mit dem Westen führen?
EHER NICHT: Der Aufstieg der Atommacht China macht die Welt unberechenbarer. Das liegt zum einen an der mangelnden Transparenz, mit der die chinesische Führung sicherheitspolitische Ziele durchsetzt. Zudem zeigt die europäische Geschichte, dass eine multipolare Weltordnung (die China anstrebt) grundsätzlich eher instabil ist. Dennoch ist der Slogan der „friedlichen Entwicklung“, den die Führung wie ein Mantra wiederholt, glaubwürdig. Bei einem heißen Konflikt verlöre China am meisten. Mit mehr als 60 Milliarden Dollar im Jahr ist es weltweit das größte Empfängerland von Direktinvestitionen. Ein Krieg vertriebe Investoren, das Wachstum bliebe aus. China braucht eine stabile Umwelt. Außenpolitische Interessen setzt Peking effektiv ohne Gewalt durch. Geschickt spielt es Handelspartner gegeneinander aus und wirft auf multilateralen Foren sein wirtschaftliches Gewicht in die Waage.
2. Wird es wieder eine große politische Revolte wie 1989 geben?
KAUM: Massendemonstrationen oder politische Unruhen, welche die Einparteien-Herrschaft erschüttern könnten, sind unwahrscheinlich. Chinas Zivilgesellschaft fehlen die Institutionen, um organisiert politischen Druck auszuüben. Die Bürger in den Städten sind in der überwiegenden Mehrheit nicht an grundsätzlichen Systemveränderungen interessiert. Sie profitieren vom Wirtschaftsboom, den ihnen die Partei garantiert. Hunderte Millionen unzufriedener, armer Bauern und Wanderarbeiter stellen jedoch eine potenzielle Gefahr für die Diktatur dar. Nach offiziellen Zahlen gab es 2005 mindestens 87.000 lokale Massenproteste im Land. 2006 soll die Zahl um 20 Prozent gesunken sein, was aber höchst fragwürdig ist. Wegen der strikten Kontrolle konnte bislang keine gemeinsame Bewegung wie 1989 entstehen.
3. Wird China eine Demokratie?
VORLÄUFIG NICHT: Wenn es nach Ministerpräsident Wen geht, behält China noch mindestens 100 Jahre sein sozialistisches System. Experten halten aber noch weitere Szenarien für möglich: 1. Progressive Kräfte in der Führung setzen sich durch und leiten eine Demokratisierung von oben ein – wie einst in der Sowjetunion. 2. Die wirtschaftliche Entwicklung fördert die Bildung eines Bürgertums, das an politischen Entscheidungen teilhaben will. Am Ende dieses Prozesses könnte ein demokratisches System mit Mehrparteiensystem und freien Wahlen stehen. Ansätze dieser möglichen Entwicklungen sind vorhanden. Ihnen gegenüber steht jedoch eine recht stabile Einparteienherrschaft.
4. Droht dem Staat der Kollaps?
EHER NICHT: Chinas gigantische Probleme haben Pessimisten seinen baldigen Zusammenbruch prophezeien lassen. Tatsächlich weitet sich die Reich-Arm-Schere dramatisch. Städter verdienen im Durchschnitt fünf Mal so viel wie die knapp 800 Millionen Landbewohner. Bis zu 200 Millionen Wanderarbeiter ziehen auf der Suche nach Arbeit in die reichen Küstengebiete. Die Ein-Kind-Politik lässt Chinas Bevölkerung schneller vergreisen als sie reich wird. Korruption frisst rund 15 Prozent der Volkswirtschaft im Jahr auf, schätzt Transparency International. Den Risiken stehen jedoch die wirtschaftlichen Erfolge der Partei gegenüber. Dadurch legitimiert und stabilisiert diese ihre Herrschaft.
5. Muss Europa wegen Chinas Wirtschaftswunder um seinen Wohlstand fürchten?
JA: Chinas wirtschaftlicher Aufstieg bedeutet für Europa Segen und Bedrohung zugleich. China kauft zwar unsere Waren, verkauft uns aber noch viel mehr. Wie mit den USA wächst auch Europas Handelsdefizit mit China (130 Milliarden Euro 2005). Für Millionen Chinesen bedeutet das Arbeit und damit die legitime Befreiung aus der Armut. Doch Europa muss sich beeilen, wettbewerbsfähig zu bleiben, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Im Niedriglohnbereich kann der Westen China ohnehin keine Konkurrenz machen. Aber auch bei Dienstleistungen und Innovationen holt der Ferne Osten auf. Laut EU-Kommission wird der Anteil der öffentlichen und privaten Forschungsinvestitionen an Chinas Bruttoinlandsprodukt schon 2010 höher sein als in der EU.
6. Wird Chinas Energiehunger zum Krieg um Ressourcen führen?
NEIN: Das Wirtschaftswachstum von rund neun Prozent jährlich erfordert einen immer größeren Energiebedarf. Seit Anfang der Neunziger Jahre reichen die eigenen Reserven nicht mehr, insbesondere beim Öl. Weil vor allem Öl und Gas knapper werden, stellt das andere Länder vor Probleme. Ohne Rücksicht auf politische Verhältnisse in den Lieferländern kaufen chinesische Staatsunternehmen dort Rohstoffvorkommen, Unternehmen und Infrastruktur ein, wie im Iran, Sudan oder Myanmar. Damit unterlaufen sie Bemühungen der USA und der Europäischen Union, diese Staaten zu ächten. Dennoch sind Befürchtungen, Chinas Energiehunger lasse den Westen leer ausgehen, übertrieben. Ende 2005 kontrollierten alle chinesischen Ölfirmen zusammen weniger als ein Prozent der weltweiten Erdölproduktion außerhalb Chinas. Dieser Anteil wird sich die kommenden Jahre kaum ändern. Ein offener Krieg um Ressourcen ist unwahrscheinlich. China bemüht sich auch pragmatisch um einvernehmliche Lösungen, wie etwa der Rückzug des Übernahmeangebots der chinesischen Firma CNOOC für das US-Unternehmen Unacol zeigte. Auch kooperiert China immer mehr mit Europa, den USA oder Japan, um Energie zu sparen oder aus regenerierbaren Quellen Energie zu gewinnen.
7. Wird China Taiwan mit Gewalt zurückerobern?
VORLÄUFIG NICHT: Die Straße von Taiwan ist eine der gefährlichsten Spannungsgebiete der Welt. China hat mehr als 800 Raketen auf die Inselrepublik gerichtet, die es als „abtrünnige Provinz“ betrachtet. Nach dem im Ausland scharf kritisierten Anti-Sezessionsgesetz behält sich Peking militärische Gewalt vor, wenn Taiwan Schritte in Richtung formaler Unabhängigkeit unternehmen sollte. Dennoch wird China wohl so lange nicht am Status quo rütteln, solange Taiwan das auch nicht tut. Peking strebt eine friedliche Wiedervereinigung nach dem Hongkonger Vorbild „ein Land, zwei Systeme“ an. Sein Trumpf ist die wachsende wirtschaftliche Abhängigkeit der Insel von China.
8. Ist Chinas Umweltverschmutzung eine Bedrohung für die Welt?
JA: 16 der 20 Städte mit der schlimmsten Luftverschmutzung weltweit liegen in China. Mehr als 300 Millionen Chinesen sind ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser. 100 Millionen Ökologieflüchtlinge habe ihre Heimat verlassen, weil Böden verseucht oder die Luft belastet ist. Chinas rasante Wirtschaftsentwicklung ruiniert die Umwelt im Land und stellt auch eine zunehmende Bedrohung fürs Ausland dar. China ist der größte Produzent von Schwefeldioxid und der zweitgrößte von Kohlendioxid (CO2). Dabei sollte nicht vergessen werden: Beim Pro-Kopf-Ausstoß des Klimagiftes CO2 steht erst der Westen in der Pflicht abzubauen: Ein Amerikaner verbraucht 20 Tonnen CO2 im Jahr, ein Deutscher 10, ein Chinese nur 3.
9. Verliert die Regierung durchs Internet seine Meinungsmacht?
NEIN: Das Internet stellt die chinesischen Zensoren vor große Herausforderungen. Das Informations- und Meinungsmonopol der Partei ist deutlich geschwächt. Aber ausgeklügelte Software und zehntausende Aufpasser erschweren die Suche im Web nach subversiven Informationen enorm. Zudem weiß die Partei das Internet auch sehr geschickt für sich zu nutzen. Präsident Hu misst ihm eine wichtige Propagandarolle zu, nicht nur im Inland. Das Internet sei ein „Instrument zur Steigerung von Chinas kulturellem Einfluss“ im Ausland, sagte er.
10. Droht eine Finanzkrise?
NEIN: Bis vor kurzem saßen Chinas Banken auf bis zu 40 Prozent faulen Krediten. Bankmanager standen unter großem politischen Druck, unrentablen Staatsunternehmen Geld zu leihen. Bankkredite waren das mit Abstand wichtigste Mittel für Investitionen. Diese Probleme sind nicht ganz verschwunden, aber die Gefahr einer Finanzkrise ist heute viel geringer. Die Banken haben ungedeckte Darlehen an Managementfirmen ausgegliedert und ihr Portfolio erweitert, etwa mit Hypotheken. Investitionen werden heute vermehrt durch Anleihen, Profitbeteiligungen oder Börsengänge getätigt. Fusionen und Privatisierungen haben viele Staatsunternehmen profitabler gemacht. Zudem garantiert die hohe Sparrate der Chinesen den Banken Liquidität. China hält die weltweit größten Devisenreserven, hat so eine finanzielle Sicherheit.作者: 原味饼干 时间: 2007-3-8 18:21