8 \# ? a: V- X( ^- rEin Befehl und seine Folgen & ]. S# I0 g/ c# E% x+ u5 X/ xEnde einer Geiselnahme: der Prozess um die gefolterten Rekruten von Coesfeld $ s; ~, ~9 y$ R8 u+ K ]5 e7 D4 o' q( L! JAm Montagmorgen sitzen zwei ältere Männer im Saal des Landgerichts Münster, Berufsoffiziere im Ruhestand. Sie sagen, sie seien aus Interesse hier und man sollte nicht vorschnell über die Angeklagten urteilen. Die Jungs hätten es doch nur gut gemeint mit ihrer Idee einer härteren Soldatenausbildung. „Sie haben dann halt ein bisschen überdreht“, sagt einer. Der Staatsanwalt wird in seiner Anklageschrift später andere Worte benutzen. Was die 17 Unteroffiziere und ihr Kompaniechef im Jahr 2004 in der Freiherr-von-Stein-Kaserne in Coesfeld mit Bundeswehrrekruten getan haben sollen nennt er schlicht „Misshandlung“.) g) `% ?1 g% x
, m) Q! `: p% X2 s5 I# H+ qVor dem Landgericht kämpfen die Fernsehteams schon vor sieben Uhr um den besten Standort für ihre Übertragungswagen. Drinnen warten die Fotografen und Kameramänner vor dem Saal. Etwas abseits steht ein schlanker, blasser Mann in weißem Hemd und grauem Jackett. Nervös tippelt er von einem Fuß auf den anderen. Die Fernsehteams werden aufmerksam, Kameras schwenken in seine Richtung, doch er verbirgt sich hinter einer Säule. Er will gesichtslos bleiben. Es ist einer der Angeklagten, der Rekruten gequält und gedemütigt haben soll. {& b# L1 @9 }) Z1 R & Y4 y: ^' t% k! S9 PIm November 2004 hatte Deutschland plötzlich seinen eigenen Militärskandal gehabt. Die Erinnerung an die widerlichen Bilder aus Abu Ghraib waren noch frisch. Von Folter in deutschen Kasernen war die Rede, von Stromstößen und davon, dass gefesselten Rekruten durch einen Schlauch gewaltsam Wasser in den Mund gepumpt wurde. Die Medien spekulierten darüber, wie sich die Bundeswehr unter dem Druck immer neuer Auslandseinsätze veränderte – und ob deutschen Soldaten dabei verrohten. Mehrere der heute Angeklagten hatten damals bereits Auslandseinsätze absolviert.5 I! X0 A, o+ S8 w ~ _3 \1 v
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Vor Gericht treffen die Angeklagten einzeln ein, an ihrer Seite jeweils zwei Anwälte. Auf der Anklagebank sitzen sie neben ihren Mandanten in engen Reihen. Es ist voll. Die Presseabteilung des Gerichts hat extra einen Sitzplan kopieren lassen, um Gericht und Publikum die Übersicht zu erleichtern. An diesem Verhandlungstag werden nicht alle Angeklagten aussagen können, es sind zu viele. Das Gericht hat 44 weitere Termine geplant, mehr als 100 Zeugen sollen in dem Prozess noch aussagen, darunter die meisten der 163 betroffenen Rekruten, die beim Prozessauftakt deshalb nicht anwesend sein dürfen. ) L. T: J, B/ P+ c% y6 p $ h9 H9 a9 P7 ^7 IZwischen 25 und 34 Jahren sind die Angeklagten alt. Einer trägt eine Uniform, die meisten aber Turnschuhe, Jeans und Hemd, einige haben ein Sakko übergestreift. Nach den Foltervorwürfen wurden zwei Soldaten noch 2004 fristlos aus der Armee entlassen. Einer hat seine Dienstzeit mittlerweile beendet. Von den übrigen Angeklagten sind vier suspendiert, die anderen leisten wieder Dienst. Bei einer Verurteilung drohen ihnen nun Haftstrafen bis zu fünf Jahren. Wer eine Haftstrafe von mehr als einem Jahr erhält, wird automatisch aus der Bundeswehr entlassen.- @1 z# C- F2 g: R
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Vier Vorfälle soll es zwischen Juni und September 2004 gegeben haben. Laut Anklage spielte sich Folgendes ab: Bei Nachtmärschen überraschten die Ausbilder, verkleidet als islamische Terroristen, die ahnungslosen Rekruten. Sie überwältigten sie und fesselten ihnen mit Kabelbindern die Hände auf den Rücken. Dann wurden ihnen Kapuzen über den Kopf gestülpt, um sie orientierungslos zu machen. Die Rekruten wurden auf Lastwagen getrieben und zu so genannten Verhören in die Kaserne gekarrt. Gefesselt mussten die jungen Männer stundenlang kniend vor einer Wand verharren. Sie wurden mit kaltem Wasser übergossen, mindestens sieben Rekruten sollen mit Stromstößen gequält worden sein, erzeugt mit einem Feldfernsprecher. : q' N( C9 P! K, S4 N9 ?9 D 5 v0 z" f3 s! ^: P7 g$ `Ein anderes Mal verschleppten die Ausbilder die gefesselten Rekruten in eine Sandgrube. Dort mussten einige sich auf den Rücken legen und ihnen wurde mit dem Schlauch einer Kübelspritze Wasser in den Mund gepumpt. „Von Ausbildung kann dabei keine Rede sein“, sagt der Staatsanwalt. Denn weder davor noch danach hätten die Ausbilder mit ihren Untergebenen über das richtige Verhalten während einer Geiselnahme gesprochen., t; T& r, f5 H# H' j8 V" D- _! z
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Der ehemalige Kompaniechef Ingo S. ist ein kleiner, dunkelblonder Mann mit breiten Schultern. Er ist 34 Jahre alt. Während er aussagt, knetet er seine Hände. Seine Karriere stehe still, sagt er, mindestens noch bis zum Prozessende. Dabei habe er von den konkreten Taten nichts gewusst. Seine zwei Zugführer seien damals zu ihm gekommen und hätten ihm eine neue Idee vorgeschlagen. Die Vorgabe der Heeresführung laute möglichst „einsatznah“ auszubilden, warum also nicht einmal eine Geiselnahme üben? Er habe die Genehmigung dazu erteilt, für den genauen Ablauf habe er sich nicht interessiert – schließlich sei er zu diesem Zeitpunkt mit Verwaltungsaufgaben eingedeckt gewesen. , e, V' P% ]# Q
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Ingo S. fühlt sich sichtlich wohler, wenn er über die Strukturen der Bundeswehr referiert, wenn er dem Vorsitzenden Richter Manfred Mattonet die Armee-Abkürzungen erläutert, die er ständig benutzt. „Sind Sie nicht stutzig geworden, als sie hörten, dass Rekruten in Ihrer Kompanie geschlagen werden“, fragt ihn der Richter. „Nein“, sagt Ingo S. und seine Antworten werden einsilbig. # e; U0 k/ C' A& l2 _$ w
( s& b8 D& K6 E7 h, IEr habe sich mit den Rekruten unterhalten, diese hätten ihm versichert, das Problem sei „zugintern“ gelöst worden. Der Richter zeigt ihm Kopien der Dienstpläne von damals, dort steht „Geländemarsch mit gedachtem Verlauf“. Das Wort Geiselnahme taucht darin nicht auf. ( A& J+ B' i. E1 c+ d$ C3 I * M( P- r1 O7 O" E$ p3 M1 v5 hRichter Mattonet fragt, ob Ingo S. den Befehl 38/10 des Heeresführungskommandos kenne. Darin steht, dass Geiselnahmen nur in einem bestimmten Schulungszentrum der Bundeswehr simuliert werden dürfen. Und nur bei Soldaten, die sich auf einen Auslandseinsatz vorbereiten, keineswegs in der Grundausbildung, wo viele Wehrpflichtige dabei sind. Außerdem gibt es strikte Vorgaben – so müssen immer Ärzte und Psychologen anwesend sein. Denn auch als Rollenspiel kann eine Geiselnahme die Opfer traumatisieren. Ingo S. sagt „Ich habe damals den Befehl 38/10 nicht gekannt.“ 3 D/ W# m3 M& s: F$ `. ?/ R6 f9 l' l) c6 a
Nach dem ehemaligen Kompaniechef sagt der Hauptfeldwebel und Zugführer Martin D. aus. Er ist 33 Jahre alt, spricht laut und klar, aber seine Hand streicht immer wieder nervös über sein Gesicht. Martin D. gibt zu, dass er sich die Rollenspiele mit den Geiselnahmen zusammen mit einem Kollegen ausgedacht hat. Er wollte „etwas Besonderes, etwas Innovatives“ machen und einige Rekruten hätten es auch als „Höhepunkt ihrer Ausbildung“ gesehen, sagt er. 7 M% [% ~2 g# @0 W& t$ W
! r: X/ N1 \7 k) f% JEr und seine Kameraden seien davon ausgegangen, dass Entführungstrainings wie sie vor jedem Auslandseinsatz absolviert werden, auch bald fester Bestandteil der Grundausbildung würden. So habe man die leitenden Offiziere immer verstanden. Man habe nur etwas vorwegnehmen wollen, was sowieso komme. . \' h) s- l3 t) N9 M `. R) V; s8 s0 l5 I, G# k" a" F: ]6 ^
Dass es dabei einige Unteroffiziere übertrieben hätten, dafür könne er nichts, sagt Martin D. Den Vorwurf der Folter will er nicht gelten lassen. Schließlich hätten die Rekruten nur ein Codewort sagen müssen, dann wäre die simulierte Geiselnahme sofort gestoppt worden. Das Codewort hieß „Tiffy“, nach der rosafarbenen Vogelpuppe aus der Kindersendung „Sesamstraße“ – ein Wort, dass in dieser Welt der harten Männer nur Schwächlinge in den Mund nehmen.