Operationen gegen China
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57206
15.04.2008
LHASA/WASHINGTON/BERLIN (Eigener Bericht) –
Mehrere Vorfeldorganisationen der Berliner Außenpolitik unterstützen seit Jahren die tibetischen Exilstrukturen im indischen Dharamsala. Dabei handelt es sich unter anderem um organisatorische Hilfsmaßnahmen, die es der "Exilregierung" in Dharamsala ermöglichen, ihre gegen die Volksrepublik China gerichteten Aktivitäten weltweit zu orchestrieren. Kooperationen mit der "Exilregierung" und anderen Einrichtungen des tibetischen Exils unterhalten vor allem die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung sowie die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen). Gleichgerichtete Tätigkeiten führen heute auch Vorfeldorganisationen der US-Außenpolitik durch. Washington hatte schon in den 1950er Jahren mit Millionensummen in Tibet interveniert, damals aber sogar bewaffnete Aufstände von Tibetern gegen die Volksrepublik unterstützt. Deutsche Organisationen nahmen sich gegen Ende der 1980er Jahre der Tibet-Thematik an, als China zum globalen Konkurrenten des Westens aufzusteigen begann. Die aktuellen Aktivitäten sind geeignet, Beijing recht empfindlich zu schwächen. Sie ergänzen weitere deutsch-amerikanische Maßnahmen, die den Aufstieg des ostasiatischen Konkurrenten bremsen sollen.
Guerilla-Angriffe
Die ersten westlichen Tibet-Aktivitäten begannen schon wenige Jahre nach der Gründung der Volksrepublik. Sie sind im politischen Gedächtnis Chinas bis heute präsent und spielen bei der Beurteilung aktueller separatistischer Tendenzen eine nicht unwichtige Rolle. Dabei handelt es sich um die 1957 einsetzende logistische und militärische Unterstützung der USA für bewaffnete tibetische Aufstände, mit denen die kommunistische Herrschaft erschüttert werden sollte.[1] Die Maßnahmen überdauerten die Flucht des Dalai Lama nach Dharamsala ins indische Exil, wo sich nach 1959 die tibetische "Exilregierung" etablierte. Wie Washingtoner Regierungsdokumente belegen, zahlte die CIA in den 1960er Jahren bis zu 1,7 Millionen US-Dollar pro Jahr, um "Operationen gegen China" in Gang zu halten. Bis zu 180.000 US-Dollar gingen direkt an den Dalai Lama.[2] Vereinzelte Kämpfe fanden noch bis in die 1970er Jahre statt. "Von Mustang aus, einer tibetischen Enklave in Nepal, wurden mit amerikanischer Unterstützung Guerilla-Angriffe geführt, die erst 1974 endeten, als die USA und die nepalesische Regierung ihre Hilfe einstellten", berichtet die Tibet-Expertin Prof. Karenina Kollmar-Paulenz.[3] Zwei Jahre zuvor hatte Washington neue Kooperationen mit Beijing eingeleitet, die das gemeinsame Vorgehen gegen die Sowjetunion als vordringliche Aufgabe definierten.
Grün-alternativ
Deutsche Organisationen sind seit den 1980er Jahren intensiv mit der Tibet-Thematik befasst. Zu diesem Zeitpunkt hatte in der Volksrepublik der Wirtschaftsaufschwung begonnen, der das Land inzwischen an die Spitze der globalen Handelsstatistiken führte. Polit-Strategen hielten schon damals den Aufstieg Chinas zur Großmacht für möglich - und sahen künftige Rivalitäten zwischen Beijing und den westlichen Mächten voraus. 1985 knüpfte die Bundestagsfraktion der "Grünen" an die Tibet-Kontakte zum Buddhismus bekehrter "alternativer" Kreise an und setzte die Autonomie- und Sezessionsforderungen in der chinesischen Region mit Anhörungen und Resolutionen auf die Tagesordnung der bundesdeutschen Politik. Involviert war bereits damals mit Tsewang Norbu ein ehemaliger Mitarbeiter des Dalai Lama, der zunächst als Angestellter der "grünen" Bundestagsabgeordneten Petra Kelly die Tibet-Politik mitgestaltete und seit 1992 von der Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) beschäftigt wird - bis heute. Norbu gründete darüber hinaus die Deutsch-Tibetische Kulturgesellschaft, deren stellvertretender Vorsitzender er lange Zeit war, und arbeitete auch als Berliner "Special Correspondent" des US-finanzierten Senders "Radio Free Asia" (RFA). RFA gehört zu den Quellen, auf denen die aktuelle westliche Berichterstattung über die Unruhen in Tibet beruht.
Politische Willensbildung
Mit Tibet-Aktivitäten sind heute insbesondere zwei der großen deutschen parteinahen Stiftungen befasst, die der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog als "wirksamste Instrumente der deutschen Außenpolitik" bezeichnet hat.[4] Die Stiftungen werden zum überwiegenden Teil aus staatlichen Haushalten finanziert. Eine von ihnen, die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung, berät das tibetische Exilparlament seit 1991 "in allen Fragen der politischen Bildung". Diese Tätigkeit werde "für die politische Willensbildung tibetischer Parlamentarier (...) sehr wichtig sein", hieß es schon vor Jahren bei der Stiftung.[5] Einer ihrer Projektpartner ("Tibetan Parliamentary and Policy Research Centre", TPPRC) führt Workshops für die meist in Indien oder in Nepal ansässigen tibetischen Exilgemeinschaften durch.[6] Außerdem vermittelt er tibetischen Studenten, "wie sie ihrem Land innerhalb oder außerhalb der Regierung dienen können".[7] Von 2003 bis 2007 nahmen insgesamt 500 Studenten an den Veranstaltungen teil. Die Friedrich-Naumann-Stiftung organisiert außerdem schon seit Mitte der 1990er Jahre Konferenzen, die "die Arbeit der internationalen Tibet-Gruppen koordinieren und ihre Verbindungen zur Zentraltibetischen Exilregierung festigen" sollen - eine aufwendige Tätigkeit, die die weltweite Vernetzung der Tibet-Aktivisten mit Dharamsala erleichtert. Die jüngste dieser Konferenzen endete im Mai 2007 mit der Einigung auf einen "Aktionsplan", bei dem es auch um die Nutzung der Olympischen Spiele in Beijing für die exiltibetischen Anliegen ging (german-foreign-policy.com berichtete [8]).
Rechtfertigung
In Sachen "Tibet" aktiv ist auch die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen). Dazu nutzt sie wie die Friedrich-Naumann-Stiftung unter anderem ihr Büro in Indien. Laut eigenen Angaben hat sie "ihre langjährige Unterstützung der exiltibetischen Gemeinschaft zum Jahreswechsel 2005/2006 stärker fokussiert".[9] Sie konzentriert sich jetzt auf die Unterstützung zweier Organisationen, die ihren Sitz in der exiltibetischen "Hauptstadt" Dharamsala haben. Dabei handelt es sich um das "Tibetan Centre for Conflict Resolution" (TCCR), das in exiltibetischen Gemeinden Streit schlichtet, und insbesondere um das "Tibetan Centre for Human Rights and Democracy" (TCHRD). Das TCHRD erstellt jährlich einen Bericht über die Menschenrechtsverletzungen in Tibet und besitzt hohe Bedeutung für die Rechtfertigung tibetischer Polit-Forderungen. "In Anbetracht der nach wie vor aktuellen, wenn auch fast aussichtslos erscheinenden Forderung nach einem Selbstbestimmungsrecht der Tibeter existiert (...) weiterhin ein großer Bedarf an der Dokumentation der durch die chinesische Staatsgewalt in Tibet ausgeübten Menschenrechtsverletzungen und Assimilierungspolitik, wie sie beispielsweise vom Stiftungspartnerpartner TCHRD betrieben wird" [10], schreibt die Heinrich-Böll-Stiftung. Das TCHRD wird auch vom "National Endowment for Democracy" (NED) unterstützt, einer Vorfeldorganisation der US-Außenpolitik, die durch die Finanzierung sogenannter "Farbenrevolutionen" in Osteuropa und Zentralasien bekannt geworden ist.
Flächenbrand
Die Tibet-Aktivitäten der deutschen Stiftungen berühren einen der sensibelsten Punkte der chinesischen Politik. Sie stellen nicht nur eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes dar, sondern tangieren den territorialen Bestand der Volksrepublik. "In gewisser Weise ist Tibet der Eckstein eines fragilen Vielvölkerstaats", beschreibt eine Politikberaterin vom Hamburger Institut für Asien-Studien die Problematik: "Ein Schreckensszenario Beijings ist, dass es von Tibet aus zu einem Flächenbrand kommen könnte." So sind "auf einer Landkarte in einer Autobiographie des Dalai Lama von 1990 (...) neben Großtibet auch 'Ostturkestan' als Siedlungsgebiet muslimischer Uiguren, die 'Innere Mongolei' und die 'Mandschurei' eingezeichnet."[11] Die Sezession dieser Gebiete hätte schwere Folgen: "Das verbleibende chinesische Siedlungsgebiet schrumpft so auf ein Drittel des Territoriums der Volksrepublik."
Strategisch, nicht legalistisch
Tatsächlich ist die aktuelle Tibet-Kampagne, zu der auch deutsche Organisationen beigetragen haben, nur ein Beispiel für die zunehmend antichinesische Politik Berlins und Washingtons. In Afrika agitieren die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten inzwischen offen gegen China.[12] Aggressive Konkurrenz wird auch in Lateinamerika [13] und Zentralasien [14] praktiziert. Als mögliches asiatisches Gegengewicht zur Eindämmung der Volksrepublik gilt Indien. Es wird entsprechend vom Westen umworben.[15] Auch hier könnte Tibet als Hebel dienen, um die zögerlichen herrschenden Kreise in New Delhi auf Kurs zu bringen. Es sei "Zeit für Indien", seine "ängstliche Annäherung" an China zu beenden und Beijing - auch im Hinblick auf Tibet - "unter Druck" zu setzen, heißt es in einer Stellungnahme eines ehemaligen Beamten des indischen Außenministeriums. Die Beziehungen zu China müssten "aus einer strategischen, nicht aus einer legalistischen Perspektive" gestaltet werden. Das Positionspapier wird vom Indien-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung zur Debatte gestellt.[16]
Nicht geduldet
Nicht zuletzt heizt die Tibet-Kampagne auch in Deutschland selbst antichinesische Stimmungen an und lässt immer weniger Raum für Kritik. Meinungen, die vom gegen Beijing gerichteten Mainstream abweichen, werden inzwischen sogar mit Sanktionen belegt. In Köln musste jetzt der Vortrag eines Sinologen zum Thema Tibet kurzfristig abgesagt werden. Die Organisatoren hatten die einseitige westliche Berichterstattung kritisiert und wollten eine differenziertere Debatte über den Konflikt anstoßen.[17] Diese Absicht führte dazu, dass ihnen die für den Vortrag angemieteten Räume in einem Kölner Bürgerzentrum kurzfristig gekündigt wurden. Wie die Verantwortlichen des Bürgerzentrums mitteilten, werde man keine "anti-tibetischen" Veranstaltungen dulden.