Es war mein letzter Tag in China. Ich bin sehr frueh aufgestanden und nicht wie ansonsten mit Papa auf den Berg Sport treiben gegangen, sondern mit meinen Freunden Wang, Tong, Li und Ying auf das Manjulong Osmanthusfest gefahren, das in Hangzhou wegen des Osmanthusduftes bekannt ist. Es war Herbst, gerade die Zeit, in der die Osmanthusblumen bluehen. Es duftete in der ganzen Stadt. Ich war schon zwei Jahre nicht mehr bei dem Fest gewesen, weil ich in Shanghai und Nanking gearbeitet hatte. Bevor dem war ich jedes Jahr da gewesen, die Stimmung von dem Fest hat mir gefallen. Mit Familie oder Freunden sitzt man ganz locker am Osmanthusbaum, trinkt gruenen Tee, riecht den leisen angenehmen Duft, spielt Karten oder unterhaelt sich. Wir sind da gesessen und haben Majong gespielt. Die Zeit verging sehr schnell. Es war schon gegen Mittag und wir mussten heimgehen, da meine Eltern auf uns warteten. So liessen wir uns zusammen bei Vierquelle fotografieren und sind mit dem Bus losgefahren. Als er langsam ueber die Jungbruecke fuhr, habe ich von dem Fenster aus den Fluss unter der Bruecke erblickt, in dem ich mit Papa oefters schwimmen gegangen war, als ich noch ein Kind war. Hinter mir war die Jungstrasse, auf der ich jeden Tag gefahren bin als ich in meiner Studienzeit in Hangzhou war. Doch mittlerweile wurden so viele Hochhaeuser und Laeden gebaut. Ich habe im Herz gesagt: “Ade Jungstrasse, ade Hangzhou, wo ich meine goldene Zeit verbrachte.“ Ich hatte keine Ahnung, wie es in dem fernen fremden Deutschland sein werde. Und ich wusste nicht, wann ich wieder hierher zurueckkommen konnte.
Am Nachmittag war nicht viel los, Papa und Mama wussten nicht viel anzufangen und sprachen nicht viel. Aber ich wusste was sie dachten: Der einzige Sohn wird bald weg sein, so weit, dass keiner der Vorfahren unserer Familie jemals dort gewesen war. Und er wird wahrscheinlich ein paar Jahre bleiben ohne heimzukehren. Das Buendel mit Ratschlaegen, die sie mir wiederholt ans Herz legen wollten, war anscheinend schon leer. Was noch, vielleicht bloss hoffen. Ich hatte daran gedacht, dass Mama mir vor ein paar Tagen sehr bedeutungsvoll eine kleine Flasche mit Erde gab. Man sagt, mit dem Boden der Heimat wird man sich schnell in einem fremden Land einleben.
Da ich nicht viel zu tun hatte, las ich ein chinesisches Buch.
Das Abendessen war frueher als sonst bereit. Es gab mein Lieblingsessen – Krebs.
Nach dem Essen bin ich wieder in mein Zimmer gegangen und habe ein bisschen Musik gehoert. Mama schaerfte mir wieder ein: „UEberdenke nochmals! – Hast Du alles?“ So habe ich ein weiteres Mal meinen Koffer angeschaut.
Mein Freund Ying wartete schon draussen in einem kleinen Bus. Wir haben abgemacht, uns um 19 Uhr auf den Weg zu machen.
Ein brechend voller Bus und zusaetzlich zwei Taxis sind Richtung Flughafen gefahren, an diesem naechtlich anblickenden Abend in Hangzhou. Die bekannten Szenen aus dem Fenster waren schnell hinter uns. Papa ist neben mir gesessen. Er war ein bisschen dick, mit so einem fast deutschen Bierbauch, und das enge Sitzen schien ihm etwas Schwierigkeiten zu bereiten. In diesem Augenblick wollte ich ihn so gern umarmen. Aber ich hab’s nicht getan, da das nicht unsere Tradition ist. Wir haben mit Unterbrechung geredet. Ich sah seine grauen Haare, die wieder mehr geworden waren. Ich hatte wirklich zu wenig Zeit fuer ihn gehabt, vor allem wegen der Arbeit in anderen Staedten. Wenn ich nach Hause gekommen war, war ich immer so beschaeftigt mit meinen Freunden. Vor kurzem hatte ich versprochen, mit ihm morgens Sport zu machen, bevor ich nach Deutschland gehe. Er hatte sich so sehr gefreut. So genossen wir es, die restlichen zwei bis drei Wochen morgens frueh aufzustehen. Und jetzt muss ich wieder gehen. Ich hoffe, er ist bei meiner Rueckkehr noch gesund.
Ich haette wirklich mehr Zeit fuer meine Eltern haben sollen.
Endlich waren wir am Flughafen. Meine Schwester hatte bereits auf uns gewartet. Sie ist direkt von der Arbeit gekommen und hatte sich heute sehr schick angezogen. Eigentlich war sie jeden Tag so. Bloss an dem Tag habe ich erst bemerkt, dass sie ein schoenes Maedchen geworden ist.
Das war mein erstes Mal, dass ich einen Flug nahm. Ich habe bemerkt, dass mich mehr Leute begleiteten als alle anderen Fluggaeste zusammen. Wir haben geplaudert um die Zeit tot zuschlagen. Dabei ist mir aufgefallen, dass Mama die ganze Zeit sprachlos war, nur mich anschaute. Ich wusste, dass die Zeit bald um war, bin zu Mama gegangen und habe ihr laechelnd auf die Schulter geklopft. Ich wollte „laechelnd“ sein, aber ich wusste, es gezwungen wirkte.
Ich musste rein!
Ich ging mit meinem kleinen Koffer ohne zurueckzuschauen. Als ich den Check-In passiert hatte, drehte ich mich um und guckte zu meinen Leuten. So viele bekannte Gesichter! Ich dachte, dass wir uns ab jetzt ein paar Jahren nicht mehr sehen werden. Ich winkte kraeftig zu ihnen: „Ade, alle!“ Aber ich habe Papa und Mama nicht mehr gesehen.
Ich bin mit grossen Schritten weitergegangen, waehrend mir ein Gedicht einfiel:“ Ich winkte leise mit dem Aermel und nahm keine Wolken von meiner Heimat mit!“