Chinesen übernehmen die Technik, aber nicht die Kultur des Westens“

Chinesen übernehmen die Technik, aber nicht die Kultur des Westens“
Manfred Pohl im Interview. Wirtschaftshistoriker Manfred Pohl über den Aufstieg Asiens, die kommende Innovationsexplosion und das drohende „Ende des Weißen Mannes“.


Manfred Pohl, 62, ist Wirtschaftshistoriker und Honorarprofessor an der Uni Frankfurt. Er ist Autor des nun erscheinenden Buches "Das Ende desWeißen Mannes", Foto: Bert Bostelmann für Wirtschafts Woche

WirtschaftsWoche: Professor Pohl, Sie verkünden uns eine pessimistische Botschaft: das Ende des Weißen Mannes. Wie kommen Sie darauf?

Pohl:Aufgrund der demografischen Entwicklung und der Migration werden dieWeißen bis zum Jahr 2050 in den USA und in den Kernländern Europas dieMinderheit sein.

Dramatisch ist diese Minderheitsposition doch nur dann, wenn die Integration der Zuwanderer scheitert. Befürchten Sie das?

Ja,wenn wir in Europa diese Parallelgesellschaften nicht auflösen und integrieren können, werden wir massive Probleme bekommen. Schon jetzt leben in Europa 20 Millionen Muslime, 2050 werden es über 60 Millionen sein. So große Parallelgesellschaften sind nicht mehr integrierbar.

Sind die USA da besser dran? Die amerikanische Gesellschaft istintegrationsfähiger, und die Latinos sind integrationswilliger. Und es gibt kein Islam-Problem.

Die USA waren von Anfang an ein Vielvölkerstaat, sie sind geprägt von einer Vielzahl an Kulturen und Religionen. Neben den Weißen sind das in erster Linie die Schwarzen,die Latinos und die Asiaten, vor allem die Chinesen, die dort zunehmend– man muss sich nur die Universitätsabschlüsse ansehen – in die Rolleder Elite hineinwachsen.Das gilt auch weltweit. Schon jetzt gehen viele Beobachter davonaus, dass die Chinesen die dominierende Kraft im 21. Jahrhundert sein werden.

Die Entscheidung wird zwischen China und den USA fallen. Die Chinesen sind, im Gegensatz zu den Indern, macht bewusst,und sie haben ein klares Programm: Sie wollen die USA bis zum Jahr 2050 als Weltmacht und als größte Wirtschaftsmacht ablösen. Und sie haben alle Chancen, das zu schaffen.

Geht damit unsere Kulturunter? Wird nun die 100 Jahre alte Prophezeiung Oswald Spenglers vom Untergang des Abendlandes doch noch Realität?

Nicht, wenn es uns in den Kernländern Europas und in den USA gelingt, unsere Kultur hinüberzuretten, sodass die Menschen, die aus anderen Kulturen und mitanderen Religionen zu uns kommen, diese neue Identität an- und unsere Leitkultur übernehmen. Das ist aber keineswegs sicher. Dabei haben die Weißen der Menschheit viel gegeben. Sie haben, abgesehen vom Schießpulver, Papier und einigen anderen Dingen in China, alle wichtigen Erfindungen der Neuzeit gemacht – Buchdruck, Dampfmaschine, Telegraf, Telefon, Elektrizität, Licht, Flugzeug, Computer, Internet. Die Weißen haben sich aufgrund dessen für etwas Besonderes gehalten, für den Nukleus der Welt. Diese Vorherrschaft endet nun.

Weil sie nicht mehr das Monopol auf den technologischen Fortschritt haben?

Was wir derzeit in der Globalisierung erleben ist eine allgemeine Beschleunigung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Ich will das an einem Beispiel erläutern. Seit die Frauen in Europa und Amerika Anfang des 20. Jahrhunderts Zugang zur Wissenschaft und zu den politischen Rechten bekamen, haben sie sich auf allen Gebieten nach vorne gekämpft. Ein ähnlicher Prozess findet zurzeit auf globaler Ebene statt: Überall, in China, Indien, aber auch in Südamerika, wo Menschen etwa über das Internet Zugang zum weltweiten Wissen bekommen, erreichen sie schnell das gleiche Niveau wie wir. Das führt dazu, da ja die Gehirne gleich strukturiert sind, dass wir bald ein riesiges Potenzial an menschlicher Intellektualität haben werden.

In welcher Größenordnung?

Etwa das Zehnfache des bisherigen. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen sind im Allgemeinen rund fünf Prozent der Menschen in der Lage zugeistigen Höchstleistungen wie etwa Erfindungen. Solange die Weißen dieWissenschaft dominierten, betrug das Potenzial bei den rund 600 Millionen Menschen in den USA und den Kernländern Europas 30 Millionen.Diesen Maßstab auf China und Indien angewandt, haben wir dort ein Potenzial von 120 Millionen Menschen. Bezogen auf die gesamte Weltbevölkerung sind es 300 Millionen. Das lässt eine Explosion von Innovationen erwarten.

Das sind Hoffnungswerte. Noch sind 17 Prozent der Chinesen und 40 Prozent der Inder Analphabeten.

Das wird sich bis Mitte des 21. Jahrhunderts schrittweise verändern. Beiden Frauen ging es auch nicht auf einen Schlag. Chinesen, Inder und die anderen Nationen werden aufholen und in der Masse intellektuell auf derselben Stufe stehen wie der Westen. Mit der Folge, dass wir das Monopol auf Erfindungen und geistige Leistungen verlieren werden.

Aber das ist doch keine Bedrohung, wenn Innovationen auch aus anderen Teilen der Welt kommen, sondern eine Bereicherung.

Das kann für uns eine zweischneidige Sache sein. Wenn dieses intellektuelle Potenzial etwa zehnmal so groß ist wie das der Weißen, werden diese Länder daraus langfristig Vorteile ziehen wollen. Darauf müssen wir uns einstellen.

Wie?

Wir müssen uns überlegen, wie wir die vor uns liegende Transformation mitgestalten, damit sie friedlich verläuft. Hier bestehen riesige Konfliktpotenziale, wie die blutigen Krawalle in den Vorstädten von Paris oder Marseille gezeigt haben. Die Frage, ob wir unsere Kulturelemente aus Antike, Christentum und Aufklärung weitergeben können oder ob wir untergehen, wird Mitte des 21. Jahrhunderts entschieden, weil wir dann nicht nur weltweit, sondern auch in Europa und Nordamerika eine Minderheit sein werden.

Haben wir überhaupt noch die Kraft, andere Völker und Kulturen von unseren Werten zu überzeugen?

Ich habe den Eindruck, dass der Weiße Mann unter einer kollektiven Abschlaffung seiner Leistungsfähigkeit leidet. Auf der einen Seite ist er noch überall präsent. Die meisten Nobelpreise gehen an Amerikaner oder Europäer, aber wir sehen schon in den Schulen, dass es der nächsten Generation an Leidensfähigkeit und Leidenschaft fehlt. Hier sind uns Chinesen oder Inder voraus. An der Universität in Shanghai ist die Bibliothek abends um zehn noch gerammelt voll, in Deutschland ist das unmöglich – schon weil sie um diese Zeit geschlossen ist.

Manche Kritiker führen das auch auf den Verlust von Religion und Moral zurück.

Das Aufleben von Religion zeigt, dass die Menschen wieder nach Werten suchen. Sie spüren, dass etwas in der Gesellschaft nicht stimmt. Aberwenn Politiker jetzt in der EU-Verfassung christliche Werte verankern wollen, geht das in die falsche Richtung. Wir müssen stattdessen unser Wertesystem öffnen und auch Werte von anderen Kulturen und Religionen aufnehmen.

Umgekehrt sind Sie aber nicht so optimistisch, dass die anderen Nationen unsere kulturellen Errungenschaften aufgreifen.

Richtig ist, dass ohne die von uns geschaffenen Informationsmöglichkeiten durch Medien und das Internet die Globalisierung gar nicht möglich geworden wäre. Dadurch hatten wir den Vorteil, dass wir unsere Werte, Kultur und Religion weltweit exportieren konnten. Aber wir müssen uns nun der Tatsache stellen, dass unsere Werte in vielen Kulturen nicht angenommen werden, etwa in den muslimischen Ländern oder auch in Südamerika, wo insbesondere die USA auf Ablehnung stoßen.

Woher kommt diese Ablehnung?

Wir machen den Fehler zu glauben, dass unsere parlamentarische Demokratiedie einzige denkbare politische Form ist und wir sie deshalb auf die anderen Völkern übertragen müssen. Diese Haltung zeigen vor allem die Amerikaner, die ihre Mission darin sehen, überall auf der Welt die Demokratie einzuführen. Ich glaube, dafür » muss man ein sehr feines Gespür entwickeln, wie Demokratien in den unterschiedlichen Erdteilen, Kulturen und Religionen funktionieren können. Im Irak mit seiner muslimisch grundierten Bevölkerung ist das ja offenbar gescheitert.

Meinen Sie damit, dass sich Islam und Demokratie ausschließen?

Nein,in der Türkei etwa ist es eher möglich, weil die Türken schon langewestlichen Einflüssen aus Europa unterliegen. Aber das müssen wir sachte angehen. Und es darf nicht einseitig geschehen, es muss eine Wechselwirkung zwischen den Kulturen bestehen und allgemein akzeptiertsein, dass diese Wechselwirkung Wettbewerb einschließt. So weit sind wir noch lange nicht.

Werden Chinesen und Inder offener gegenüber unseren Werten und unserer Kultur sein?

Die Chinesen kopieren ja sehr viel, aber bislang sieht es nicht so aus, als ob sie wie die Japaner die westliche Kultur übernehmen. Sie beschränken sich auf die Technik und versuchen, mit dem Konfuzianismus ihre eigenen Wertesysteme neu zu formieren. Aber hier haben westliche Unternehmen eine wichtige Aufgabe. Das unternehmerische Wertesystem heißt freier Markt, Wettbewerb, Öffnung und Transparenz, aber auch Kooperation. Daraus entsteht ein neues, globales Wertesystem, das von denUnternehmen auf die Mitarbeiter und damit auch auf die Bevölkerung der Länder ausstrahlt, in denen die Unternehmen tätig sind. Durch diese Corporate Culture entsteht ein weltweites Wertesystem, das unabhängig von Kulturen und Religionen geprägt ist...

...als allgemeinverbindliches Wertesystem der Globalisierung?

Ja,das werden zunächst westliche Werte sein wie Freiheit und Menschenrechte, Werte im ethischen, moralischen Bereich, demokratische Systeme in Unternehmen wie Hauptversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat. Gleichzeitig aber beginnen chinesische und indische Unternehmen bereitsjetzt, eigene Werte zu schaffen.

Welche?

Zum Beispiel Leidenschaft, Engagement auf einem ganz hohen Niveau. Davon wiederum können wir lernen, es muss ein gegenseitiger Transfer vonWerten entstehen. Dabei spielen die Unternehmen eine Schlüsselrolle. Natürlich stellt sich auch die Frage, wie diese Länder damit umgehen werden, wenn sie in Innovationsfähigkeit und Wirtschaftskraft in die westliche Welt vorstoßen.

Werden die Asiaten mit ihrer neuen Macht verantwortungsvoller umgehen als die Europäer Anfang des 20. Jahrhunderts, deren Rivalität den Ersten Weltkrieg auslöste?

Das ist die große Frage. Derzeit agieren die Chinesen in den rohstoffreichen Ländern Afrikas und Südamerikas ohne Wertesystem. Hier zählt nur, Verträge abzuschließen und die Nase vorn zu haben. Das wirdsich jedoch ändern. Die Chinesen werden mit der Zeit erkennen, was wirja auch erst erkennen mussten, dass auf diese Weise langfristig keine Nachhaltigkeit zu erreichen ist.

Haben Europa und Amerikaeine Chance, stärker auf die politische und kulturelle Entwicklung Asiens Einfluss zu nehmen, wenn sie sich als gemeinsamer Werteblock formieren?

Europa und Amerika müssen aufs Engstekooperieren, auch bei den Werten. Aber wir Europäer dürfen nicht nurauf Amerika schauen, wir können eine Katalysatorfunktion einnehmen zwischen den USA und den asiatischen Aufsteigern. Wir Europäer denken weniger missionarisch als die Amerikaner, wir sind kompromissbereiter nach der Erfahrung der vielen Kriege auf unserem Kontinent. Deshalb sollten wir unsere Rolle darin sehen, offen nach Osten und Westen zu sein, als eine Art Filter von Wertesystemen, um den Dialog zwischen den Wertesystemen zu moderieren.

Wie soll das funktionieren?

Ganz wichtig wird Wettbewerb sein, in den politischen Systemen, in der Ökonomie, aber auch in Religion und Kulturen. Wenn die Globalisierung funktionieren soll, braucht sie den freien Wettbewerb in allen Bereichen. Alle Regionen müssen die gleiche Chance haben zu sagen, welche Werte sie haben wollen. Es kann nicht sein, dass eine Nationanderen Vorschriften macht.

Eine multipolare Welt mit Wertevielfalt?

Esgibt natürlich Werte, die überall gleich wichtig sind. Menschenrechte sind unantastbar. Hier kann es allenfalls Unterschiede in Nuancen geben. Das Gleiche gilt für freien Markt und Wettbewerb. Aber deshalb muss nicht überall auf der Welt die Demokratie so strukturiert sein wiein Europa oder den USA. Auch dürfte in Asien und in den islamischen Ländern Religion immer eine andere Rolle spielen als bei uns. Die Menschen dort haben eine andere Religiosität als wir.

Die Religionen der Chinesen und Inder zeichnet im Unterschied zum Christentum und Islam aus, dass sie keinen universalistischen Anspruch haben. Ist das ein Vorteil in der Globalisierung?

Ja, und davon könnten wir lernen, auch den Wettbewerb von Religion und Kulturzu fördern. Die entscheidende Frage für das 21. Jahrhundert wird sein,ob es zu einem freien Wettbewerb auch in Politik, Religion und Kultur kommt. Ich bin da ganz optimistisch. Denn überall, wo wirtschaftliche, politische oder religiöse Monopole bestehen, werden sie durch die Globalisierung aufgelöst werden, weil die gesamte Menschheit Zugang zumWissen haben wird.

Ist das nicht ein wenig naiv? Ist der Trend zur Globalisierung wirklich unumkehrbar?

Nein,natürlich nicht. Es gibt große Gefahren, Rassismus, Ausgrenzung, dieTerrorismus und Unsicherheit erzeugen. Der größte Teil der Menschheit lebt nicht in demokratischen Systemen. Außerdem produziert die Globalisierung auch Verlierer. Aber mit der Globalisierung und demgrößer werdenden Anteil der Menschheit am Wissen entsteht ein Multiplikatoreffekt, der die Überwindung solcher Schranken beschleunigt.

[ 本帖最后由 qquchn 于 2007-4-9 08:08 编辑 ]
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这个心态比较典型。不过我觉得还有一些因素除了政治文化和信仰。例如环境恶化,饮用水、能源短缺和全球化,发展中国家对全球经济的影响等。中国在全球经济中越来越扮演重要角色,而全球经济就是一根弦,牵一发而动全身。话说沪深股市打个喷嚏全球股市就感冒,这个似乎渐渐成了现实。德国人总想着让其它民族融入德国社会,但是这么多年了似乎还是一个大问题。从文化入手我觉得还是收效甚微,毕竟不同信仰的人说不到一块去。看看去年漫画事件引起的反应就知道了。
末世征象:地震 粮荒 战争 瘟疫 世界四分五裂

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啊,WirtschaftsWoche
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我觉得Pohl 的观察很理性。
描述也比较客观、全面深入。某一两点细节可能不确切,但是他的结论,全市从标准经济学原理推断出来的。不仅指的德国老学习,也值得别的民族,尤其是在这里的中国人思考一下。
总而言之,比一般的德国佬强太多了。
我现在又觉得,德国老还是不能轻视。
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