tagesschau报道南街村

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Chinas kommunistische Enklave

Das Dorf der Mao-Millionäre
Eins weiß Parteichef Hong Bin bestimmt: "Der Kommunismus funktioniert nur, wenn man viel Geld hat". Mitten im Kapitalismusboom Chinas hat er das Dorf Nanjie zu einem florierenden kommunistischen Ort gemacht - bestaunt von jährlich rund 400.000 Touristen.

Von Jochen Gräbert, ARD-Studio Peking

Auf den ersten Blick ist die Straße in Dongjie, tief in der chinesischen Provinz Hena, eine ganz normale Marktstraße. Doch die Obst- und Gemüsehändler hier sind - so verrückt das klingen mag - die letzten Außenposten des kapitalistischen China. Am Ende des kleinen Dorfes Dongjie ist ein Tor - und dahinter beginnt eine andere, längst vergangen geglaubte Welt: Nanjie. Ein Dorf mit wenHgen Autos, großen Straßen, noch größeren Plätzen und monumentalen Denkmälern. Hier führt Mao Tse-Tung China ins 21. Jahrhundert, hier wachen die Ikonen des Kommunismus noch immer über die Geschicke des Dorfes: Lenin, Engels und selbst Stalin.

  
[Bildunterschrift: Mao tse-Tung: Revival einer Ikone]
Früher waren die Zhous, wie fast alle Einwohner von Nanjie, arme Bauern. Heute leben sie in einer modernen Drei-Zimmer-Wohnung mit Kühlschrank und Mikrowelle. Dabei verdienen sie nur ein Taschengeld. Denn Essen, Wohnen, Kleidung gibt es auf Bezugsschein - wie zu Maos Zeiten. "Ich verehre Mao, ich bewundere ihn", sagt Frau Zhou. Jeden Tag lese sie in seinen Reden, zu Hause und während der Arbeit. Natürlich sei ihr klar, dass Mao kein Gott, sondern ein Mensch war. "Aber seine Ideen sind besser und großartiger als die von Gott."

"Der Osten ist rot, Mao ist unsere Sonne", plärrt es im ganzen Dorf aus dem Lautsprecher. Das ist so morgens, wenn Genosse Zhou zur Arbeit fährt, per Fahrrad natürlich, wie alle hier. Und das ist mittags und abends so, wenn er nach Hause kommt - ein Hauch von Pjöngjang mitten im kapitalistischen China.

"Kommunismus funktioniert nur mit Geld"  
[Bildunterschrift: Kulturrevolutionär Mao tse-tung]
Nanjie ist das Werk von Parteichef und Bürgermeister Hong Bin. Vor 20 Jahren hat er alle Wirtschaftsreformen zurückgedreht, weil damals viele arm geblieben und nur wenige reich geworden seien, sagt er. "Die Bauern wussten doch gar nicht, wie man mit Geld umgeht", sagt Hong Bin. Sie hätten es fürs Zocken, für Bordelle und unnützen Konsum ausgegeben, so der Parteichef. Das sei jetzt anders: Jetzt würden die Gewinne reinvestiert, damit die Wirtschaft wachse. "Denn Kommunismus funktioniert nur, wenn man Geld hat, viel Geld", weiß der Parteichef.

Und so steht man auch wieder Schlange in Nanjie. Auch Frau Zhou steht jeden Tag an: mal für Fleisch, mal für Unterwäsche, heute für Brot. Alles ist streng überwacht, selbst die Bier- und Schnapsration. Aber dafür ist es umsonst, auf Bezugschein eben. Der Unterschied zu früher: Es ist immer reichlich da. In Nanjie sind alle gleich. Arbeit ist Pflicht, genauso wie das tägliche Studium der Mao-Lehren.

"Wir beuten niemanden aus"  
[Bildunterschrift: Chinesische Wanderarbeiter ]
Herr Zhou macht heute Geschäfte mit der Außenwelt. Ein feiner Job, die Hände machen sich andere schmutzig. Gleich nebenan, in der Druckerfabrik, schuften Wanderarbeiter für den Wohlstand des Dorfes. Sie sind ausgeschlossen von den Privilegien der Dorfbewohner, für sie gelten sie weiter, die ach so verhassten Spielregeln des Kapitalismus. 13.000 Wanderarbeiter hat das 5000-Seelendorf inzwischen angeheuert: "Wir beuten die Wanderarbeiter nicht aus", behauptet Hong Bin. Schließlich habe man im Dorfrat beschlossen, dass auch Wanderarbeiter Bürger von Nanjie werden können, wenn sie den Status eines vorbildlichen Mitarbeiters erreichen. Dann kämen auch sie in den Genuss der sozialen Fürsorge, erklärt der Bürgermeister.

Umerziehung wie zu Maos ZeitenAlso büffeln sie. Die jungen Wanderarbeiter lernen zum Beispiel, warum Privateigentum den Menschen verdirbt. Die Gehirnwäsche ist Pflicht, der Weg zum sozialistischen Vollbürger steinig. Nur wenige schaffen es - und das frühestens nach sechs Jahren.

Touristen aus ganz China kommen nach Nanjie, um das seltsame Dorf in Augenschein zu nehmen. Dabei träumen viele schon wieder vom Paradies auf Erden - und vergessen nur allzu gerne die furchtbaren Schrecken der Mao-Zeit: "Nanjie zeigt uns, dass der Kommunismus doch funktioniert", sagt ein Besucher. "Wir sollten uns das Dorf zum Vorbild nehmen." Nanjie bietet viel: zum Beispiel den Mao-Park. Hier hat Nanjie rund zwei Millionen Euro investiert. In den fünfstöckigen Mao-Bibelturm beispielsweise, dort will man Maos wichtigste Schriften kalligraphisch verewigen. Oder in heilige Revolutionsstätten. Originalgetreu nachgebaut: Maos Geburtshaus.

Touristenattraktion in China: Das kommunistische DorfRund 400.000 Touristen kommen jährlich nach Nanjie und füllen das Dorfsäckel. Denn die Gemeinde kassiert Eintrittsgelder und versilbert den Großen Vorsitzenden. Kommunismus, sagt der Dorfchef ungerührt, muss sich rechnen: "Als Kommunist darf ich ruhig Geld verdienen, entscheidend ist doch, was ich damit mache." Man müsse natürlich realistisch sein, gibt Hong Bin zu bedenken. "In ganz China würde unser Modell nicht funktionieren." Aber in einer kleinen Gemeinde wie Nanjie könne man die Bürger so kontrollieren und erziehen, dass ihre Moral erhalten bleibe. Kontrolliert wird alles, auch die Liebe. Wer heiraten will, braucht die Einwilligung des Dorfkomitees. Vor allem dann, wenn die Auserwählte von draußen kommt, vollgesogen mit kapitalistischem Gedankengut. 2000 Neubürger hat Nanjie in den vergangenen 20 Jahren aufgenommen. Da gilt es wohl, wachsam zu sein.

Nanjie - ein Traum?Draußen, im Nachbardorf Dongjie rackern die Händler und Bauern für ihr täglich Brot und blicken ein wenig neidisch auf die reichen Landsleute gleich hinter der Stadtmauer: "Natürlich würde ich gerne da drüben leben", sagt eine Bewohnerin. "Alle hier wollen das." Weil man dort alles umsonst bekomme: moderne Wohnungen, Essen, Kleidung, Schule. Davon könne sie nur träumen. "Aber ich glaube nicht, dass ich je die Chance kriege." Und so bleibt auch Nanjie für sie, was der Kommunismus immer war: Ein unerfüllbarer Traum.
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