Chinesen in Deutschland(节选自Frankfurt Allgemein Zeitung)

Sonntagszeitung Gesellschaft

Die perfekten Einwanderer
Sie sind arbeitsam, bildungsbeflissen und machen keinen Ärger. Und sonst? Zwischen Parallelgesellschaft und Integration: Chinesen. Die Tochter wurde als Petze beschimpft, weil sie jeden Streit den Erziehern meldete, statt ihn auszutragen.


Von Julia Schaaf


Vielleicht ist es nur Einbildung, aber plötzlich duftet es nach Jasmin. Samstag vormittag, eine Berufsschule in Frankfurt: Während gut 300 chinesische Jungen und Mädchen Mandarin pauken, trinken die Väter in der Cafeteria Tee, die Mütter üben im Hof einen traditionellen Tanz. Zierliche Frauen schwenken rote Fächer, Schritt nach rechts, Schritt nach links. Die Vortänzerin imitiert den Schlag einer Trommel. Tam-ta-ta. Ein Hauch von China-Town am Main, Proben für eine Multikulti-Parade. Eine Mutter sitzt in der Sonne und beißt in ein Kürbiskernbrötchen mit Seelachsrogen. "Bei uns ist es nicht wie bei den Moslems, die nur ihre eigene Sprache sprechen", sagt die Mittvierzigerin auf deutsch. "Hier besteht die Gefahr, da?die Kinder von der eigenen Kultur nicht mehr viel wissen."

Wenn der neueste Pisa-Vergleich offenbart, da?die Schulleistungen ausländischer Kinder in Deutschland schlechter sind als die von Einwandererkindern anderswo, sind sicher nicht die Chinesen gemeint. Deren Kinder besuchen in der Regel das Gymnasium, Schulversager gibt es so gut wie nicht. "Das Charakteristikum der Chinesen-Problematik ist, da?es keine Problematik gibt", sagt Karsten Giese vom Institut für Asienkunde in Hamburg. Chinesen in Deutschland sind gewissermaßen unsichtbar. Ihre Restaurants gehören zur Grundausstattung jeder Kleinstadt, ihre Geschäfte verschwinden zwischen türkischen Gemüsehändlern und globalisiertem Kitsch-Import. Kaum einer bezieht Sozialhilfe. Während aber China als Wirtschaftsmacht der Zukunft zum Modethema avanciert, ist über Chinesen in Deutschland wenig bekannt - kein Ärger, keine Aufmerksamkeit. Dabei leben hierzulande gut 73 000 Menschen aus der Volksrepublik und Hongkong. Chinesen stellen die größte Ausländergruppe an deutschen Hochschulen. Ein gelungenes Beispiel für Integration? Oder eine Parallelgesellschaft, die niemand bemerkt?

"Unsere Kinder sprechen viel besser Deutsch als Chinesisch", sagt Ruiling Feng, die sich ehrenamtlich in der Leitung der 1997 gegründeten Huayin-Schule in Frankfurt engagiert. Viele sind durch Kindergarten, Schule und Freunde von klein auf mit der deutschen Sprache vertraut. Chinesisch jedoch gilt als Schlüsselqualifikation für die spätere Karriere, auch wenn der muttersprachliche Unterricht bedeutet, da?täglich eine Zusatzportion Hausaufgaben bewältigt werden mu? Zugleich ist die Samstagsschule ein Treffpunkt. Nirgendwo sonst im Rhein-Main-Gebiet kommen so viele unterschiedliche Chinesen regelmäßig zusammen: Akademiker, Geschäftsleute, Restaurantbesitzer. Viele Eltern nehmen eine weite Anfahrt in Kauf und münzen die Zeit des Wartens in Geselligkeit um.

Schulleitungsmitglied Feng gehört zu der Generation früher Stipendiaten, die in Deutschland eine Familie gegründet haben und beruflich etabliert sind. Die Angestellte eines Steuerbüros ist 1982 nach Hessen gezogen, "vielleicht bin ich auch gar keine typische Chinesin mehr", sagt die Frau mit den dunkel geschminkten Lippen. Und kommt prompt auf das Epizentrum innerfamiliärer Kulturkonflikte zu sprechen: die Kindererziehung. Wenn einer ihrer Söhne als Kleinkind einen Wutanfall bekam, sich auf den Boden warf und heulte, blieb sie zum Entsetzen der chinesischen Schwiegermutter gelassen. Weinende Jungs gelten im Reich der Mitte als schwach, und ein Kind mu?sich zusammenreißen und begreifen, da?die Eltern doch nur sein Bestes wollen. Ruiling Feng hingegen fand, der Kleine dürfe sich austoben - so, wie sie es in ihrem deutschen Umfeld erlebt hatte. "Ich bin sehr froh, da?diese Bereicherung da ist", sagt sie heute.

Die 46 Jahre alte Yiling Pan erzählt ähnliche Geschichten: von der Tochter, die nach den ersten Kindergartenerfahrungen in China in Deutschland als Petze beschimpft wurde, weil sie jeden Streit den Erzieherinnen meldete, anstatt den Konflikt auszutragen. Heute ist die Dreizehnjährige so direkt, da?die Großeltern während der Sommerferien in Schanghai mäkeln, das Mädchen sei frech.

"Wir leben in zwei Kulturen", sagt Yiling Pan: Die Tochter habe ihre eigene Taufe durchgesetzt (typisch deutsch). Eltern und Kind hätten gemeinsam alle Gymnasien im Umkreis abgeklappert, um die beste Schule zu finden (typisch chinesisch). Die Familie sei ihr so wichtig, da?sie jede Woche mindestens eine Stunde lang mit den Eltern telefoniere (typisch chinesisch). Und natürlich bevorzuge sie chinesisches Essen, weil das gesünder sei, aber bei schönem Wetter werde gegrillt (was typisch ist für die Selbstverständlichkeit, mit der sich heimisch gewordene Einwanderer aus unterschiedlichen traditionellen Reservoirs bedienen).

Aber sind diese Beispiele nun typisch für Chinesen in Deutschland? Wenn mittwochs einmal im Monat der Frankfurter Sinologenstammtisch zusammenkommt, wenn in dem neueröffneten Restaurant "Peking-Ente" Tische herbeigetragen werden, weil überraschend viele Deutsche und Chinesen krosses Fleisch mit Lauchzwiebeln und schwarzer Sauce in dünne Pfannkuchen wickeln wollen, trifft man ebenfalls auf Akademiker. In flüssigem Deutsch werden die Leitkulturdebatte, der Taoismus und die Beschaffenheit der Entenhaut verhandelt. Die jungen Bank- und Börsenleute schätzen die deutsche Ruhe und Sauberkeit. Aber warum die Geschäfte nicht auch sonntags geöffnet haben und jede banale Entscheidung erst nach einer Ewigkeit fällt, will ihnen nicht in den Kopf. Was ist schon Heimat? Solange der nächste Karriereschritt entscheidet, ist Mobilität Programm. Ein Neunundzwanzigjähriger in dunklem Anzug und rosa Hemd sagt: "Ich möchte international agieren."

Wie viele andere Chinesen hat der schmächtige junge Mann Betriebswirtschaft studiert, und wie viele seiner chinesischen Kommilitonen wäre er an eine amerikanische Universität gegangen, wenn er es sich hätte leisten können. Anders als er jedoch reisen die meisten Studenten nach dem Examen wieder ab, weil sie sich in China bessere Berufschancen erhoffen. Vorher bleiben sie im Wohnheim unter sich, oder, wie Asienwissenschaftler Giese sagt: "Sie leben hier, sind aber vielfach nicht richtig da. Sie lassen sich auf die Menschen und die Gesellschaft nicht ein."

Das gilt in gewisser Weise auch für die "Restaurantchinesen", die älteste Einwanderergruppe aus China. Das Frankfurter Lokal "Neue Welt", Schnitzereien unter Glas, viel Rot, mehr Messing und ein Mittagsmen?für 6,80 Euro: Auch nach 16 Jahren in Deutschland holt Besitzerin Mei Fen Wu einen Kellner als Übersetzer hinzu. Sie sagt, schon jetzt sei der Konkurrenzkampf so gro? da?sie die geplante Mehrwertsteuererhöhung fürchte. Frau Wu hat nur die Volksschule absolviert, die meisten Restaurantbesitzer und Händler haben sich aus einfachsten Verhältnissen in China hochgearbeitet. Man schuftet bis zur Erschöpfung, verbringt die wenige freie Zeit miteinander und nutzt die auf Chinesen spezialisierte Infrastruktur: Geschäfte, Friseure, Buchhalter.

Kleiner Katalog der Klischees, die auch von Chinakennern und Chinesen gepflegt werden, obwohl sie unzulässig verallgemeinern:

1. Chinesen sind unglaublich fleißig: Kaum ein China-Restaurant kennt Ruhetage. Damin Ren, Vermögensberater und Mitorganisator des Frankfurter Stammtischs, kommt mit Hauptberuf, Nebenjob und Weiterbildung auf achtzig Stunden Wochenarbeitszeit.

2. Chinesen sind sparsam: Ihre schwarze Stoffhose, sagt Restaurantbesitzerin Wu, habe in China gerade mal fünf Euro gekostet.

3. Chinesen sind hartnäckige Geschäftspartner: "Bei diesen Leuten geht es um den Profit. Alles andere ist egal", sagt Georg Ebertshäuser, Sinologe an der Universität Frankfurt. Eine verbreitete Taktik: das "Weichbrühen". Hart bleiben, bis der Gegner entnervt kapituliert. Gnadenlos ausnutzen, da?es sich niemand mit dem kommenden Weltstar China verscherzen will.

4. Der Bildungswille chinesischer Eltern kennt keine Grenzen: Klavierunterricht gehört zum Standardprogramm, wer in der Schule schwächelt, bekommt Nachhilfe. "Das ist dieses konfuzianische Denken: Lernen ist das Wichtigste, egal, ob arm oder reich", sagt Schulleitungsmitglied Feng. Sinologe Ebertshäuser weist auf die große Konkurrenz in dem bevölkerungsreichen China hin: "Da mu?man sich eben anstrengen und alles tun." Und die Erziehungswissenschaftlerin Ching-Ching Pan benennt die ausgeprägte Erwartungshaltung der Eltern: "Wenn ich klar formuliere, was ich mit meinem Kind will, ist das hilfreich."

Lu Ren hält den Rücken sehr aufrecht, wenn sie über neun Jahre Leben in Köln und im Rhein-Main-Gebiet spricht. Sie trägt ein Top von Peek & Cloppenburg, ihr Rock stammt aus China. Die Fünfunddreißigjährige nippt an einem Latte Macchiato. Ihr Mann arbeitet bei einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen, die zweijährige Tochter besucht vormittags eine Krabbelgruppe. Ren singt ihr deutsche Kinderlieder vor. Beide Kinder haben je einen deutschen und einen chinesischen Vornamen. Wenn die Familie essen geht, bevorzugt die Sprachlehrerin griechische Restaurants; chinesisch kochen kann sie schließlich selbst. Das nennt man gelungene Integration. Und trotzdem fragt sich Lu Ren in regelmäßigen Abständen: Warum gehen wir nicht nach China zurück? Warum tun wir uns das alles an?

Der Schritt nach Deutschland, der immer mit der Hoffnung auf ein besseres Leben verbunden ist, führt auch Chinesen mitunter auf einen harten Weg. Ren berichtet von Freunden, die nach dem Studium keine Arbeitserlaubnis bekamen, von Kommilitonen, die an Prüfungen scheiterten und ohne Abschlu?zurück nach China mußten. Sie selbst hatte davor immer Angst. Auch ihre eigene Universitätsausbildung nahm einen Umweg, als sie schwanger wurde. Der Druck war gro? das Kind noch klein, das Geld stets knapp. Und dann stirbt die Großmutter in China, während man selbst Tausende Kilometer weit entfernt ist. Lu Ren steigen Tränen in die Augen. Aber für Lucy, sagt ihr Mann in solchen Momenten, sei es alles wert gewesen. Nicht, da?sie deswegen ausgewandert wären. Aber in China hätte das Paar nur ein Kind bekommen dürfen.

Die Tochter wurde als Petze beschimpft, weil sie jeden Streit den
Erziehern meldete, statt ihn auszutragen.

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 21.05.2006, Nr. 20 / Seite 59
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hoch interessant, empfehlenswert,schoen dank fuer den Artikel.

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